
Ein lautes klingeln durchdringt die Nacht. Karl öffnet noch verschlafen seine Augen und schaut Richtung Wecker der unaufhörlich bimmelt. In grossen roten Ziffern steht da 6:00. Er schlägt seine Bettdecke zur Seite und kriecht langsam aus seinem großen leeren Bett. Schon lange lebt Karl alleine. Seit 3 Jahren ist er Single und mindestens genauso lange auch schon arbeitslos. So richtig kann er sich nicht mehr daran erinnern, die letzten Jahre hat er wie im Nebel verbracht, bei sich zu hause und mit kaum Kontakt zur Außenwelt. Früher, ja früher sah das anders aus. Karl war verheiratet und beliebt, hatte viele soziale Kontakte und war erfolgreich in seinem Job in der Verwaltung. Doch irgendwann vor vier Jahren kam der Bruch. Karl verbrachte plötzlich die meiste Zeit damit zu grübeln, hatte keine lust mehr auf seine Hobbies, seine Frau, seinen Job sowie seinen Freunden und Bekannten. Seine Frau hatte anfangs noch Verständnis für seine Situation doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus, und verließ ihn mit den 2 gemeinsamen Kindern. Heute ist Karl ein 42jähriger, gebrochener Mann und lebt vollkommen zurückgezogen in seiner eigenen Welt. Nur selten hat er noch Kontakt zu Leuten, allerdings nur noch über Telefon und Internet. Seine Wohnung hat schon lange niemand mehr betreten.
Als Karl es geschafft hat sich endlich aus seinem Bett zu quälen, begab er sich erstmal in Richtung Badzimmer, um den Druck rauszulassen, der sich in der Nacht über in seiner Harnblase gesammelt hatte. Während er auf dem Klo sass, wanderte sein Blick zum Badezimmerfenster. Der Wind pfiff durch die Ritzen des porösen Silikonkits und der Regen prasselet gegen die Scheibe. Irgendwie passt das Wetter sehr gut zu meiner Verfassung, dachte er sich um im selben Moment diesen Gedanken gleich wieder zu verlieren und die Klospülung zu betätigen. Kurz noch Hände und Gesicht gewaschen und ab ging es Richtung Kaffeemaschine. Diesen heißen schwarzen Nektar brauchte er jetzt um in die Gänge zu kommen. Also schnell Kaffeepulver in den Filter gefüllt und Wasser in den Behälter. Während der Kaffee durchlief, setzte sich Karl auf den Küchenstuhl, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch ab, und legte seinen Kopf in seine Hände. Die Gedanken entschwanden wieder ins düstere innere seiner selbst. Was mache ich hier noch? Mich kann doch sowieso niemand austehen, selbst ich kann mich nicht leiden. Karl starrte regungslos seine weiße Wand an, ab und zu schweifte sein Blick zu den Fotos seiner Kinder. Da waren sie noch klein und die Welt war noch in Ordnung, dachte er so bei sich. Was ist passiert? Karl verbracht die meiste Zeit seines Tages, sich genau die Frage zu stellen. Was ist passiert? Warum bin ich so geworden? Bin ich bekloppt, oder ist es die Welt da draußen, die ich meide wie der Teufel das Weihwasser? Er fand einfach keine Antworten auf diese Fragen. So sehr er sich auch bemühte, aber es gab einfach keine Lösung. Karl wurde immer deprimierter, mittlerweile war der Kaffee fertig. Er schüttete 2 Teelöffel des Milchpulvers in seine Tasse und goß den Kaffee hinterher. Damit ging er dann ins Wohnzimmer und legte sich auf das Sofa. Erstmal eine rauchen, dachte er so bei sich und zündete sich eine Zigarette an. Er nahm einen tiefen Zug, hielt die Zigarette hoch und schaute sich die glühende Spitze an. Warum er das tat wusste er in diesem Moment selber nicht. Aber diese Glut lenkte ihn für eine kurze Zeit ab. Nachdem er aufgeraucht hatte, rollte er sich wie ein Embrio auf dem Sofa zusammen. Eigentlich hätte Karl genug im Haushalt zu tun. Es müsste staub gewischt werden, gesaugt, das Geschirr stapelte sich nur so in der Küche, und der Müll roch mittlerweile auch ganz unangenehm in der Wohnung. Doch Karl fehlte die Motivation. Wofür das alles? Mich kommt doch eh niemand mehr besuchen? Und ich kann gut damit leben. Gut der Gestank des Mülls störte Karl nun doch, und er konnte sich kurz aufraffen um sich anzuziehen, und kurz den Müll runterzubringen. Hoffentlich treffe ich niemanden von den Nachbarn unterwegs! Karl öffnete seine Wohnungstür einen Spalt und horchte in den Hausflur rein. Es waren keine Stimmen zu hören, und so konnte er es wagen schnell den Müll in die Tonne zu schmeissen. Er beeilte sich, denn er wollte niemanden auf der Strasse begegnen. Schweiß tropfte mittlerweile von seiner Stirn, ihm wurde schwindelig und seine Gedanken sprangen im Dreieck. Bitte lasst mich niemanden treffen. Ich kann ihre Blicke nicht ertragen. Ich weiß selbst das ich ein Arschloch bin, das brauchen die anderen dann nicht auch gleich noch denken wenn sie mich sehen. Schnell war der Müll in die Tonne geworfen, und schnellen Schrittes ging Karl zurück in seine Wohnung. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war er sehr erleichtert. Puh, das habe ich überstanden! Sein nächster Gang zielte zum CD Regal wo er sich eine CD der Onkelz herausnahm und die in seinen Player schob. Die ersten Töne erklangen und Karl rollte sich wieder auf dem Sofa zusammen. Er musste wohl eingenickt sein, denn als er das nächste mal seine Augen öffnete war keine Musik mehr zu hören und es war mittlerweile Mittagszeit. Kein Wunder, schoss es ihm in den Kopf, ich kann die Nächte auch kaum noch richtig schlafen. Plötzlich bemerkte er ein grummeln in seiner Magengegend. Hmmm, so langsam bekomme ich wohl Hunger! Er ging in die Küche und schaute in sein Eisfach im Kühlschrank. Dort lag noch einsam und verlassen eine Salamipizza. Gut, besser als nicht sagte Karl zu sich selbst. Er heizte den Ofen auf, und schob die Pizza hinein. Währenddessen spülte er schnell einen Teller und ein wenig Besteck ab, denn das brauchte er ja gleich. 15 Minuten später war das Essen dann auch fertig, und Karl begab sich mit allem wieder ins Wohnzimmer. Dort schaltete er dann den Fernseher an, und schaute sich die Nachrichten an, während er aß. So viele schreckliche Sachen passieren auf der Welt und Millionen Menschen müssen leiden. Warum bloss jammere ich den ganzen Tag herum, im Gegensatz zu ihnen geht es mir doch relativ gut? Karl begann sich in Grund und Boden zu schämen, und sein Appetit verflog auch mit einem mal. Tränen schossen ihm in die Augen, und er begann wie ein Schlosshund zu heulen. Warum bin ich so ein schlechter Mensch? Am besten mache ich Schluss, das wäre eine Erlösung für die ganze Menschheit! Er nahm sein Steakmesser in die Hand, und schaute auf seine Pulsadern der linken Hand. Es wäre alles so einfach, dachte er sich. Einfach nur längst einen tiefen schnitt ansetzen und bald ist alles vorbei! Mit der Messerspitze berührte er schon sein Handgelenk als er schließlich das Gerät fallen liess. Ich kann es nicht, ich kann es einfach nicht! Selbst dafür bin ich zu feige! Wieder schossen ihm die Tränen in die Augen, und er rollte sich auf dem Sofa zusammen. Für kurze Zeit gab Karl seinen Gefühlen freien lauf, bis er schließlich wieder in die übliche Lethargie verfiel. Kein Bock auf gar nichts, das war sein Lebensmotto, und das führte er auch in Perfektion aus.
Er rauchte sich eine Zigarette nach der anderen, und schaute Fernsehen, die Zeit verflog und Karl hatte sich nicht einen millimeter bewegt. Mittlerweile war es schon 17 Uhr, und ihm überkam das Gefühl einer sehr großen Einsamkeit. Wie immer in solchen Momenten versuchte er die einzige Person zu erreichen, die ihm noch geblieben ist, seine beste Freundin. Die sein Leid, öfter als ihm lieb ist, ertragen muss. Er wählte ihre Nummer, und es klingelte und klingelte, doch niemand nahm ab. Was soll denn das? Will sie jetzt auch nichts mehr mit mir zu tun haben, wie alle? Karl konnte es nicht fassen, seine beste Freundin liess ihn im stich. Er machte seinen Pc an, und ging zu Facebook, wo er sie erstmal anschrieb. Seine erste Nachricht war noch ganz nett, die zweite klang dann schon etwas ungeduldiger, und in der dritten machte er ihr wieder mal Vorwürfe das sie ihn alleine lassen würde. Doch sie kam überhaupt nicht online, Karl taten kurze zeit später die Nachrichten schon wieder leid, aber da war schon nichts mehr daran zu ändern. Er konnte ihr nur eine weitere Nachricht schreiben, das ihm alles sehr leid tun würde. Hoffentlich konnte sie ihm verzeihen, aber bis jetzt hat sie ihm ja immer verziehen. Sie war die einzige die Verständnis für ihn hatte, und auf die er sich verlassen konnte. Traurig machte er den Pc wieder aus, die ungeduld brachte ihm fast um den Verstand. Warum meldet sie sich denn nicht? Ist sie vielleicht doch sauer? Ich könnte es verstehen, im Gedanken flehte er sie immer wieder an, bitte lass du mich nicht auch noch alleine! Weinend lag er auf seinem Sofa, und ihm ging es von Sekunde zu Sekunde schlechter. Er wollte nicht mehr, er wollte einfach nicht mehr. Sein Blick richtete sich zu seinem Insulinpen. Hmmm, es wäre so einfach! Einfach 30 Einheiten aufziehen und einschlafen. Er nahm den Pen in die Hand, und wollte es grade machen, als das Telefon klingelte.
Es war Melanie, seine beste Freundin, das wurde aber auch zeit, dachte er bei sich, als er ihren Namen im Display las. Mit einem „Hallo Schatz, bin grade erst nach Hause gekommen, und habe gesehen das du angerufen hast, was ist denn los?“ Ihre Stimme klang so fröhlich, warum ist sie fröhlich, während es mir so schlecht ging? „Ach, habe mal wieder Käsekuchen, und weiß einfach nicht mehr weiter“, antwortete Karl ihr. Käsekuchen, war ihr Codewort wenn er wieder richtig mies drauf war, dann wusste sie, sie muss behutsam mit ihm umgehen. Ganze 4 Stunden haben die beiden miteinander telefoniert, und Karl ging es nach dem Telefonat sichtlich besser. Er war erleichtert das sich alles aufgeklärt hat, und er sich wieder mal alles von der Seele reden konnte. Aber er hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil er sie als seelischen Mülleimer benutzt, und immer wieder die gleichen Sachen erzählt. Man dreht sich doch im Kreis, waren dann immer ihre Worte, hol dir endlich professionelle Hilfe. Sie hat ja recht, dachte sich Karl, ja sie hat ja recht! Mittlerweile war es 22 Uhr am Abend und er überlegte sich ob er nicht langsam mal ins Bett gehen sollte. Ihm ging es ein wenig besser und das muss man schließlich gleich ausnutzen um zu schlafen. Sonst drehen sich die Gedanken im Bett nur wieder die ganze Zeit.
Kurz nachdem sich Karl dann bettfertig gemacht hatte, lag er dann auch schon drinn. Er schlief auch relativ schnell ein, nur leider wachte er in der Nacht immer wieder auf, und die Gedanken nahmen ihren lauf. Ihm schoss dann der Songtitel der Böhsen Onkelz in den Kopf bevor er heute Vormittag eingenickt ist, „Wieder mal ein Tag verschenkt!“
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